Weiß-rot-weiße Flaggen, Menschenmassen auf der Straße, Polizeitruppen mit Schlagstöcken… – diese Bilder aus Minsk prägen im Sommer 2020 die weltweite Medienlandschaft.
Sie dokumentieren die belarusische Demokratiebewegung, die ihren Höhenpunkt nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen am 9. August 2020 hatte. Dennoch ist das autoritäre Regime von Aljaksandr Lukaschenka 3,5 Jahre später weiterhin an der Macht. Mehrere hunderttausende Belarus:innen haben aus Angst vor den verschärften Repressionen ins Exil fliehen müssen. Auch in Deutschland ist die belarusische Diaspora vertreten. Wie hat sich die Situation entwickelt? Wie sieht der zivilgesellschaftliche Widerstand der belarusischen Diaspora in Deutschland aus?
Die Rolle der Zivilgesellschaft
Es waren Arbeiter:innen, Student:innen, Künstler:innen und viele andere, die es in den Monaten vor und nach der Wahlfälschung auf die Straß trieb. Jedoch ging es nicht nur im die verzerrten Ergebnisse, sondern auch um den Prostet gegen die autokratische Herrschaft von Lukaschenka. Gemeinsam schlossen sich Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zusammen, dokumentierten Menschenrechtsverletzungen und sensibilisierten die internationale Gemeinschaft für die Lage in der ehemaligen Sowjetunion. Mit den Protesten kämpften die Belarus:innen gegen politische Unterdrückung und setzten sich für demokratische Veränderungen ein.
Zu den bekanntesten Oppositionellen gehört Swetlana Tichanowskaja. Im Jahr 2020 trat sie als Kandidatin gegen Lukaschenka an, der seit 1994 im Amt ist. Schließlich erkennt die EU sie als gewähltes Staatsoberhaupt an. Nach den Präsidentschaftswahlen 2020 verließ sie Belarus aus Sicherheitsgründen. Nun setzt sie international ihre Bemühungen fort Unterstützung für die belarusische Opposition zu mobilisieren.
Im Gefängnis wegen demokratischen Werten
Das autoritäre Regime von Lukaschenka ließ jedoch die friedliche Protestwelle in den Monaten nach der Wahlfälschung gewaltsam niederschlagen. Außerdem wurden zahlreiche Menschenrechtsgruppen, Bürgerinitiativen und unabhängige Medien verboten. Besonders Aktivist:innen, Journalist:innen und Oppositionelle waren und sind immer noch von willkürlichen Verhaftungen bedroht. Schon das Tragen der weiß-rot-weißen Flagge, die als Symbol der Demokratiebewegung gilt, kann zu einer Festnahme führen.
Nach dem heutigen Stand (Januar 2024) sind über 1.600 Menschen als politische Gefangene inhaftiert. Das heißt sie sind aus politischen oder weltanschaulichen Gründen im Gefängnis. Viele von ihnen haben sich den Protesten angeschlossen, um sich für Meinungsfreiheit und freie Wahlen einzusetzen. Dafür lässt sie Lukaschenka unter menschenunwürdigen Bedingungen einsperren und foltern.
Belarusische Diaspora im Exil
Auf der Suche nach Schutz und Sicherheit haben sich Mitglieder der belarusischen Diaspora in Deutschland zusammengeschlossen und organisiert. Gemeinnützige Vereine wie Libereco und RAZAM e.V. informieren über die Menschenrechtslage in Belarus, veranstalten Spendenaktionen für politische Gefangene, Demonstrationen zu Jahrestagen und Diskussionen mit belarusischen Aktivist:innen. Auch der Austausch zwischen deutschen Politiker:innen und der belarusischen Zivilgesellschaft sowie Petitionen für die Freilassung von politischen Gefangenen gehören zum Widerstand aus dem Exil dazu.
Ein Beispiel für die Solidarisierung mit den Menschen in Belarus aus dem Exil ist die von Libereco ins Leben gerufene Kampagne #WeStandBYyou. Neben dem Hashtag, der auf die Situation in Belarus aufmerksam macht, ist das Patenschaft-Projekt ein Teil der Solidaritätsaktion. Die Idee ist, dass europäische Abgeordnete eine Patenschaft für politische Gefangene übernehmen und sich für deren Freilassung einsetzen. Mittlerweile haben 398 Politiker:innen aus der Schweiz, Deutschland, Irland und weiteren Ländern eine Patenschaft angenommen.
Ebenfalls auf der Agenda steht der Einsatz gegen die drastischen Einschränkung der unabhängigen Medien in Belarus seit 2020. Für das Medienprojekt KRAINA Media Sandbox – Analysis and Exchange hat RAZAM e.V. mit der litauisch-belarusischen Organisation KRAINA Media zusammengearbeitet. Durch drei Studienreisen nach Deutschland sollen belarusische Medienschaffende Erfahrungen mit deutschen Journalist:innen austauschen und eigene Pilotprojekte realisieren.
Mithilfe solcher Projekte tragen die belarusische Diaspora und ihre Anhänger dazu bei, ihre Anliegen sichtbar zu machen. Sie kämpfen dafür, dass die Situation in ihrem Heimatland nicht in Vergessenheit gerät. Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hilft die belarusische Diaspora auch ihren ukrainischen Nachbar:innen. Der Kriegt hat eine große Solidaritätswelle ausgelöst und es sind viele humanitäre Hilfsprojekte entstanden.
In Belarus gilt RAZAM e.V. inzwischen als „extremistisches Material“. Dies ist ein weiteres Beispiel, wie das autoritäre Regime von Lukaschenka oppositionelle Organisationen unterdrückt. Der Verein lässt sich davon aber nicht anhalten und engagiert sich weiterhin mit Projekten für einen demokratischen Wandel in Belarus.
„Courage“ und die Geschichten hinter den Protesten
Wer mehr über die demokratischen Proteste in Belarus erfahren möchte, sollte sich die eindrückliche Doku „Courage“ anschauen. Im Vordergrund stehen die Theaterleute Maryna, Pavel und Denis, die sich den Protesten im Sommer 2020 anschließen. Parallel begleitet der Regisseur Aliaksei Paluyan die drei bei einer aktuellen Inszenierung. In dem Stück verschwinden plötzlich Oppositionelle – der schmerzliche Alltag in Belarus. Geschickt wird die Aufbruchsstimmung und gleichzeitig die Spannungen, Ängste und Emotionen der Protagonisten eingefangen. „Courage“ lief bei der 71. Berlinale.
Der Film wird regelmäßig in ausgewählten Kinos gezeigt, wie z.B. am 31. Januar im filmkunst66 in Berlin.
Warum eigentlich Belarus und nicht Weißrussland?
Die Verwendung des Namens „Belarus“ statt „Weißrussland“ unterstreicht den Wunsch der belarusischen Diaspora in Deutschland nach Unabhängigkeit und betont die eigenständige Identität. Das heutige Gebiet der Republik Belarus war einst Teil der Kiewer Rus‘, und der Name „Belarus“ (bela = weiß) leitet sich davon ab. Das historische Gebiet der Rus‘ ist nicht mit dem gegenwärtigen Russland gleichzusetzen ist. Aus diesem Grund macht die Verwendung des offiziellen Namens „Belarus“ statt „Weißrussland“ deutlich, dass es sich um einen souveränen Staat handelt.
Titelbild: Andrew Keymaster auf Unsplash
Literatur
https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/politische-gefangene/