Auch dieses Jahr findet in ganz Deutschland die Interkulturelle Woche vom 24. September bis 01. Oktober statt. Unter dem diesjährigen Motto „Neue Räume“ organisieren und tragen Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Kommunen, Migrationsbeiräte, Integrationsbeauftragte, deutsch-ausländische Initiativgruppen und andere Akteur*innen über 5000 Veranstaltungen – inzwischen zum achtundvierzigsten Mal. Über die Ursprünge, den Wandel und die Gegenwart der Interkulturellen Woche.

Die Ursprünge der Interkulturellen Woche

Es ist 1975. Fragt man einen x-beliebigen Menschen auf der Straße, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, wäre die überwiegende Antwort wohl: Nein.
Zwei Jahre nach dem Anwerbestopp von 1973 beginnt erst langsam der Reflexionsprozess über die Denkfehler, die man im Zusammenhang mit dem Anwerben ausländischer sogenannter „Gastarbeiter*innen“ gemacht hatte. Als die Anwerbeabkommen mit Ländern wie Italien, der Türkei und Marokko beschlossen worden waren, wünschte man sich in Deutschland mehr Arbeitskraft. Nicht aber die dazugehörigen Menschen mit ihren Geschichten, ihrer Hoffnung und der kulturellen Vielfalt, die sie mitbrachten.
Für diese „Gäste“ wurden keine Integrationsprogramme auf die Beine gestellt, keine Deutsch-als-Fremdsprache-Kurse angeboten und keine neuen, designierten Räume der Begegnung geschaffen. Man ging davon aus, dass sie nach getaner Arbeit, nach Stabilisierung der deutschen Wirtschaft einfach wieder „nach Hause“ gehen würde.
Und plötzlich war es 1973, der Anwerbestopp war beschlossene Sache, und die „Gäste“, die sich inzwischen teils über viele Jahre ihre Existenz in Deutschland aufgebaut hatten und sich inzwischen heimisch fühlten, sie blieben einfach.
In den Jahren nach 1975 wurden das Fehlen von Integrationshilfen und -angeboten offensichtlich. Vielen Menschen, die sich zuvor wohl kaum Gedanken über die Gastarbeiter*innen gemacht hatten, realisierten, dass die ehemaligen „Gäste“ nun ihre Nachbarn, Arbeitskolleg*innen und Mitbürger*innen werden und bleiben würden.

Plakatmotiv 1975. Quelle: Interkulturelle Woche

Endlich auf Augenhöhe

Trotzdem blieb ein gewisses Gefälle zwischen den zwei Gruppen. Das Bild der deutschen Mehrheit gegenüber den „fremden“, ehemaligen „Gastarbeiter*innen“ spiegelte sich noch lange in der öffentlichen Debatte wider.
Vor diesem Hintergrund begriffen die späteren Intiator*innen: Integration und ein positives Zusammenleben können nur auf Augenhöhe funktionieren.

1975 fand daher der erste „Tag des ausländischen Mitbürgers“ statt. Der Name war bewusst gewählt: Die ehemaligen Gastarbeiter*innen sollten nicht als Fremde, sondern als Mitbürger*innen mit internationaler Geschichte gesehen werden. Keine Gäste, sondern, um im Bild zu bleiben, gleichberechtigte Mitbewohner*innen.
1983 erweiterte man den Tag schließlich zur „Woche des ausländischen Mitbürgers“. Sieben Tage lang organisierten verschiedenste lokale Organisationen bundesweit Stadtrallyes, Talk-Runden, Kochkurse, Kunstprogramme und mehr. Sieben Tage lang, jedes Jahr aufs Neue.
Dabei bleibt das Ziel der Interkulturellen Woche immer das Gleiche: Begegnung. Meistens freundschaftlich und aufmunternd. 1982 warb man zum Beispiel: Ängste überwinden – Nachbarschaft finden. Auf dem Plakat dazu fröhliche Kinder.
Manchmal auch konfrontativ: 1992 zeigten die Plakate beispielsweise eine Bank, darauf gesprüht: Nur für Deutsche!
Unter dem Foto fragt ein Schriftzug: Na, sitzen Sie bequem?

Die Interkulturelle Woche geht mit der Zeit

Im Laufe der Jahre änderten sich die Ansprüche an eine Aktion wie die „Woche des ausländischen Mitbürgers“. Nicht nur in der Werbung passte man sich dem jeweiligen Stand öffentlicher Debatten an, auch der Name musste sich mit der Zeit verändern.
Die „Woche des ausländischen Mitbürgers“ als Konzept sollte bleiben, der Name jedoch passte nicht mehr so richtig. Nicht nur fehlte Frauen die Ansprache im Titel, auch fühlten viele Eingewanderte sich als ebenso inländisch wie ihre Mitbürger*innen ohne internationale Geschichte.
Daher entschied der Ökumenische Vorbereitungsausschuss 1991, den neuen, inklusiveren Namen „Interkulturelle Woche“ einzuführen.

Die Interkulturelle Woche 2023

Auch dieses Jahr beginnt das Programm der Interkulturellen Woche am 24.09 mit einem Paukenschlag: Auf ein Chorprogramm um 11 Uhr auf dem Bottroper Ernst-Wilczok-Platz folgen ein Grußwort des Schirmherren Bernhard Tischler, ein Open-Air-Gottesdienst, Tanz, Musik und eine Kunstinstallation – parallel der „Markt der Vielfalt“.
Solltet ihr nicht am 24. September zufällig in Bottrop sein, bieten andere Organisationen im Rahmen der Interkulturellen Woche ihre eigenen Veranstaltungen an. Um herauszufinden, was bei euch in der Nähe ansteht, wurde extra eine Datenbank eingerichtet:

Veranstaltungsdatenbank 2023 | Interkulturelle Woche

Alle Veranstaltungen dieses Jahres finden unter dem übergreifenden Motto „Neue Räume“ statt. Die Interkulturelle Woche regt an, sich zu fragen: Welche wertvollen Räume der Begegnung und des Austausches kennen wir? Wie erschaffen wir neue Räume und wie verteidigen wir sie?
Das Motto bietet die Freiheit zu reflektieren, wie die Veranstaltungen der Interkulturellen Woche unsere Gesellschaft seit 1975 mit verändert haben, indem sie den Räume für Begegnungen bieten. Räume für ein interkulturelles Deutschland und ein positives Miteinander. Räume für Begegnung – auf Augenhöhe.

Titelfoto: Offizielles Logo der Interkulturellen Woche

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Über den Autor

Amelie B.

ist Mitglied des Rates der Stiftung "Gegen Extremismus und Gewalt in Heide und Umgebung" und engagiert sich dort ehrenamtlich.

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