Ist die Bezeichnung „Migrationshintergrund“ überhaupt noch zukunftsfähig? Schon seit einigen Jahren kreisen Diskussionen um diesen Begriff.  Und zunehmend steht er in der Kritik. Dabei geht es um die Fragen, wie tauglich die  Bezeichnung „Migrationshintergrund“ eigentlich noch ist? Stimmen wurden laut, der Begriff sei  in den letzten Jahren von einer statistischen Kategorie zu einem Makel geworden. Zunehmend wird in Frage gestellt, ob „Migrationshintergrund“ noch ein purer Begriff ist oder schon eine  Zugehörigkeit anzeigt. Er sage nichts über die Lebensrealitäten von Menschen aus und die statistische Erfassung sei zu komplex, so Fachleute.

„Migrationshintergrund“ nicht mehr nutzen

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Fachkommission Integrationsfähigkeit empfiehlt nun, diesen Begriff künftig nicht mehr zu nutzen – und macht einen Alternativvorschlag. In dem Ende  Januar 2021 veröffentlichten Bericht heißt es:

 „Die Fachkommission empfiehlt, das bisher im Rahmen des Mikrozensus verwendete statistische Konzept des „Migrationshintergrunds“ aufzugeben. Das betrifft sowohl die Bezeichnung als solche als auch die Definition der Gruppen, die in diese Kategorie fallen. Erfasst werden sollen künftig „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“: Menschen, die entweder selbst oder deren beide Elternteile seit 1950 in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik eingewandert sind.“

Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft gestalten. Bericht der Fachkommission der Bundesregierung zu den Rahmenbedingungen der Integrationsfähigkeit. 2021, S. 218

Warum wurde der Begriff „Migrationshintergrund“ eigentlich eingeführt?

Das Statistische Bundesamt erfasst den sogenannten Migrationshintergrund seit 2005 im Mikrozensus. Die Daten des Mikrozensus beeinflussen politische Zielvorgaben, zum Beispiel in der Bildungs- oder Arbeitsmarktpolitik. Auch in öffentlichen Debatten dreht sich vieles um die „Migrationshintergründler“. Früher gab es in der Statistik nur „Ausländer“ und „Deutsche“. Zunehmend wurden „Ausländer“ für die Statistiker jedoch unsichtbar, weil sie sich einbürgern ließen oder ihre Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurden. Erst mit der Einführung des Begriffs „Migrationshintergrund“ in das Mikrozensusgesetz 2005 wurden diese Menschen wieder in der Statistik sichtbar.

Was wäre bei dem Vorschlag „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“ anders?

Vorweg: Die Fachkommission ist sich einig, dass auch mögliche Alternativen zum Begriff „Migrationshintergrund“ ihrerseits neue Probleme aufwerfen. Eine ideale Lösung im Sinne eines universell einsetzbaren Begriffs gibt es nicht aus Sicht der Mitglieder.

Aber was wäre der Vorteil des neuen Begriffs?

Der „Migrationshintergrund“ erfasst bisher, ob Personen oder ihre Eltern nicht mit der deutschen Staatsbürgerschaft geboren wurden. Mit „Eingewanderte und ihre Nachkommen“ könnte erfasst werden, ob Personen oder ihre Eltern beide selbst eingewandert sind. Dadurch würden einige Personen  nicht mehr mitgezählt: Zum Beispiel fielen alle aus der Statistik raus, bei denen nur ein Elternteil eingewandert ist. Etwa der Fußballprofi Jérôme Boateng oder der Satiriker Jan Böhmermann. Also würden die Kategorien verengt auf Personen, bei denen beide Eltern eingewandert sind. Denn sie machen andere Erfahrungen als Menschen, bei denen etwa die Mutter oder der Vater in Deutschland geboren und aufgewachsen ist

 „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“ sei sogar konkreter

Unter „Personen mit Migrationshintergrund“ fallen derzeit viele Menschen mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen. Menschen, die gerade eingewandert sind, werden vermischt mit Menschen, bei denen nur ein Teil ihrer Vorfahren nach Deutschland kam. Wenn man darüber sprechen will, welche Erfahrungen eingewanderte Menschen machen, sollten man sich nur Personen ansehen, die selbst eingewandert sind. Das würde der Begriff „Eingewanderte und ihre (direkten) Nachkommen“ definieren.

Der Begriff „Migrationshintergrund“ lässt sich nicht über Nacht ersetzen

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz, sieht das Problem. Sie sagte der Tagesschau, der Begriff „Migrationshintergrund“ umfasse viele unterschiedliche Gruppen. Viele der 21 Millionen betroffenen Menschen fühlten sich dadurch jedoch nicht abgebildet. Es sei, „als stünde dieser Hintergrund immer im Vordergrund“. Der Begriff werde Ihrer Meinung nach zwar nicht über Nacht ersetzt werden können, aber es sei eine Aufgabe für die Zukunft.

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arbeitet bei Gegen Vergessen - Für Demokratie e.V. Der Begriff SEITEN:BLICK steht für die Blicke, die wir links, rechts und hinter "die Dinge" werfen wollen.

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