Seit Beginn der Corona-Pandemie konnten verschiedene Studien nachweisen, dass antiasiatischer Rassismus in der Gesellschaft durch die Krise gesteigert wird. Asiatisch gelesene Personen werden nicht nur sozial gemieden. Sie erfahren auch verbale und körperliche Angriffe. Dabei spielt es keine Rolle, ob die besagte Person überhaupt aus China stammt, dort Verwandte hat oder jemals in ihrem Leben dort gewesen ist. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

Sars-CoV-2

Im Winter 2019 hörte man in Deutschland von einem Virus mit dem Namen „Sars-CoV-2“. Er wurde zum ersten Mal in der Stadt Wuhan in der chinesischen Provinz Hubei nachgewiesen. Dort seien Fälle auf einem „Wet Market“ aufgetreten, auf dem es beispielsweise Fleisch und Meeresfrüchte zu kaufen gibt.

Die westliche Öffentlichkeit nahm die Lungenerkrankung Covid zunächst nur marginal wahr. Doch mit seiner rasanten Verbreitung wuchs die (begründete) Sorge. Mit der Sorge wuchs der Handlungsbedarf. Seit vergangenem Frühjahr hangeln wir uns nun gefühlt von Lockdown zu Lockdown, sind auf (körperliche) Distanz zu Freunden und Familie gegangen und verharren im Homeoffice.

Mit diesen Folgen wuchs aber auch das Bedürfnis nach einer*m Schuldigen, der die Verantwortung für all das trüge. Da das Virus zum ersten Mal in China nachgewiesen werden konnte, lag ein gefährliches Narrativ nahe.

Schuldzuweisungen

„Das ist jetzt echt alles nur so, weil irgendein Chinese eine Fledermaus gegessen hat, oder?!“, krakelt eine junge Frau in ihr Mikrophon. Wir befinden uns im Frühjahr 2020, kurz nach dem Beginn des ersten Lockdowns. Besagte Frau hat einen Account auf einer online Videoplattform. Dort folgen tausende von Menschen ihren Beiträgen zu unterschiedlichen Themen.

Niemand aus ihrer Community widerspricht der offensichtlich rassistischen Aussage. Sie bedient allerdings tradierte antiasiatische Rassismen, die wir an dieser Stelle versuchen aufzuschlüsseln.

Historische Kontinuitäten

Das erwähnte Zitat bewegt sich (unbewusst) in einer historischen Kontinuität. Antiasiatischer Rassismus ist in Deutschland tatsächlich historisch gewachsen. So protestierte man bereits im Jahr 1907 in Deutschland gegen die Einwanderung von Chines*innnen, da sie die „Chinesenpest“ einschleppen würden.

Asiatisch gelesene Personen werden somit schon lang als potenzielle Krankheitsträger gebrandmarkt. Bis heute hält sich die (falsche) Vorstellung, dass die Einstellung zur Hygiene in China dazu geführt habe, dass Corona überhaupt erst entstehen konnte.

Hand in Hand mit diesem Narrativ geht die Ansicht, Chines*innen seien ohnehin „anders“ und irgendwie „exotisch“. Diese Vorurteile bestehen etwa seit dem 13. Jahrhundert und wurde über die Zeit vor allem durch die Kolonialpolitik bestärkt.

Antiasiatischer Rassismus als historische Kontinuität.
„The Yellow Terror In All His Glory“,
US-amerikanische Darstellung von 1899″
Quelle: Wikimedia

Es lässt sich nachweisen, dass das erwähnte Zitat der Influencerin rassistische Stereotypisierungen bedient, die in einer historischen Tradition stehen. Asiatisch gelesene Personen seien „exotisch“, „unhygienisch“ und „abstoßend“. Folglich seien sie potenzielle Krankheitsträger.

Hierzu gesellt sich auch gern ein – etwas neueres – Vorurteil: Der asiatische Raum und vor allem China seien Gefahren für die europäische Wirtschaft. Diese Annahme kulminierte bereits im Kaiserreich in der Verbreitung des Narrativs einer „Gelben Gefahr“, die insbesondere von China ausgehen solle.

Vor diesem Hintergrund entstand wohl auch der Verschwörungsmythos, chinesische Forscher hätten das Virus in einem Labor gezüchtet. Mehrere Virolog*innen und Forscher*innen wiesen diese These bereits als unwahrscheinlich zurück.

Fakten spielen kaum eine Rolle

Interessant ist, dass solche Fakten und wissenschaftlichen Stimmen im antiasiatischen „Corona-Rassismus“ weitestgehend ignoriert werden. Wissenschaftler*innen sind sich bis heute nicht zu hundert Prozent sicher, wie das Virus vom ursprünglichen Wirt, der Fledermaus, auf den Menschen übergehen konnte. Trotzdem etablierte sich ein Mythos von „Fledermausessern“.

Es scheint wahrscheinlich zu sein, dass es einen tierischen „Zwischenwirt“ gab. Dieser könnte sich von einer Fledermaus angesteckt haben und dann zum Verkauf auf dem „Wet Market“ angeboten worden sein. Der Mythos der „Fledermausesser“ ist somit kaum haltbar.

Irritierend ist außerdem, dass der antiasiatische Rassismus allen asiatisch gelesenen Personen eine chinesische Herkunft zuweist. Die Sozialforscherin Noa K. Ha erkennt hierin einen Rassismus, der auf phänotypischen Zuschreibungen beruht. Es existiere ein Bild davon, wie Europäer*innen auszusehen hätten. Personen, die anders aussähen, würden auf dieser Basis ausgeschlossen.

Antiasiatischer Rassismus im Alltag

All diese Faktoren führen dazu, dass sich ein historisch gewachsener antiasiatischer Rassismus in diesen Corona-Zeiten noch weiter verstärken konnte. Betroffene erleben verbale und körperliche Angriffe in teilweise täglicher Frequenz.

So wurde im „Spiegel“ im Dezember 2020 über eine Zunahme von Rassismus seit Beginn der Pandemie berichtet. Corona sei ein „Brandbeschleuniger“ und die „Dunkelziffer“ antiasiatischer Angriffe sei vermutlich noch höher, als bisher bekannt.

Empowerment – #ichbinkeinVirus

In einer solchen Situation ist es entscheidend, dass die Betroffenen ihrer Stimme Gehör verschaffen können. Antiasiatische Vorfälle müssen publik gemacht werden, um diese Tendenzen in der Bevölkerung sichtbar zu machen. Nur so können sie bekämpft werden.

Eine der bekanntesten Bewegungen in diesem Kontext ist wohl die Plattform „ichbinkeinvirus.org„. Hier können sich die Opfer von rassistischen Anfeindungen, Taten und Angriffen selbst zu Wort melden. Ihre Erfahrungen schreiben sie unter dem Hashtag „#ichbinkeinvirus“ auf.

Das Ziel ist es, sich gegenseitig den Rücken zu stärken und eine Community gegen den Hass zu schaffen. Die Betreiber der Website betonen „du bist nicht allein„!

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Über den Autor

Michèle W.

Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin.

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