Eine Ausstellung über Anerkennung in der Migrationsgesellschaft
Wie kamen und kommen Menschen in unserer Gesellschaft an? Wie werden sie hier wahrgenommen, behandelt und gesehen – im Beruf und in der Gesellschaft? Welche Rolle spielen dabei Geschlecht, Rassismus, soziale Herkunft sowie finanzielle Verhältnisse? Anders formuliert: „Was ist der Mensch wert?”
Dies waren die Fragen, die DOMiD (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland) in seinem dritten DOMiDLab beschäftigt hatte. Zuvor gab es bereits die Ausstellung Treffpunkt und Mind the Gap! Doch was steht eigentlich hinter diesen Labs?
Das DOMiDLab: Eine Re-Aktive Ausstellung
In Köln entsteht in den nächsten Jahren das „Haus der Einwanderungsgesellschaft“. Es soll ein Migrationsmuseum werden, in dem in Dauer- und Wechselausstellungen gezeigt wird, wie Migration deutsche Geschichte und Gesellschaft geprägt hat.
Dafür wird die Stadtgesellschaft in den Entstehungsprozess eingebunden, nämlich durch die angesprochenen Labs. Labs steht kurz für Labore für partizipative Museumsgestaltung. Das Projekt startetet 2021, bis zum Projektende 2024 werden vier Labore stattgefunden haben, jedes Mal mit einer anderen Fragestellung.
Dabei geht es immer auch darum zu überlegen, wie man Interaktion im Museum fördern kann. Zum Beispiel: Wie ermöglicht man Begegnung von Menschen im Museum? Wie kann eine Ausstellung aussehen, die dem Museum ermöglicht, auf aktuelle Debatten zu reagieren? Wie können Themen und Geschichten respektvoll ausgestellt werden? Die Ergebnisse aus diesen Gestaltungsprozessen und den Ausstellungen fließen letztlich in die Gestaltung des Museums mit ein.
Die Dauer der Labore sind jeweils elf Monate, sie enden mit einer Ausstellung. In den Ausstellungen können Besucher:innen die Ergebnisse sehen, aber auch kommentieren und eigene Ideen beitragen.
WERT/SCHÄTZEN: Wer bestimmt den Wert?
Gemäß dem Titel beschäftigen sich viele der Stationen damit, was und wieso wir etwas oder jemanden (nicht) wert schätzen. Dabei wird schnell deutlich, dass die persönliche Beziehung zum Gegenüber oder Objekt entscheidend ist.
So etwa anhand der Vitrine, die mehrere Gegenstände enthält, die man wahrscheinlich für wenige Euro auf dem Flohmarkt finden könnte. Liest man aber die Geschichten, die hinter den Objekten stehen, wird klar, dass sie für die Besitzer:innen ungemein wertvoller sind: Da ist beispielsweise das Schiff, das von einem Ausflug in die alte Heimat mitgebracht wurde und nun ein Sinnbild für Sehnsucht ist. Oder die Gläser, die die Kinder der Mutter beim Nachzug mitbringen mussten, komme, was wolle.
Anhand von zwei Krügen lässt sich eine Familiengeschichte erzählen: Mit über 100 Jahren von Namen, Ortswechseln und mehr, bis man in der Gegenwart angekommen ist. Das lässt uns selber mit einem neuem Blick durch unsere Wohnung gehen: Welche Geschichten würden unsere im Regal liegenden oder stehenden, mitunter leicht angestaubten, Dinge erzählen, wenn sie könnten? Und wenn wir einmal nicht mehr da sind, hat dann noch jemand eine Verbindung zu ihnen?
Dass nicht nur Objekte, sondern auch Menschen unterschiedlich wertgeschätzt werden, ist eine traurige Wahrheit. Täglich flüchten Menschen über den Seeweg nach Europa, viele von ihnen erreichen ihr Ziel nicht. Viele von uns können diese Realität im Alltag wegschieben, aber manchmal konfrontiert sie uns an den unerwartetsten Orten. So etwa eine der Labor-Teilnehmerinnen, die in ihrem Sizilien-Urlaub auf einen geflüchteten Menschen traf und seitdem nicht mehr in ihre „Blase“ – vielleicht auch heile Welt? – zurückkann. Auf Postkarten, die man mitnehmen, weitergeben, verschicken kann, teilt sie ihre Gedanken zum Erlebten mit.
Wie zwei Seiten einer Medaille wirken die Erfahrungen, die man als Mensch mit Migrationsgeschichte macht. Wieso öffnet Migration an manchen Stellen Türen und schließt sie an anderen wieder? Wann wird Migration als Gewinn gesehen und wann als Grund für Abstriche? Auch hier können Besucher:innen ihre Erfahrungen teilen und die anderer als Denkanstoß nutzen.
Ein weiteres interessantes Exponat lädt auf ungewöhnliche Weise zum Mitmachen ein: An einem Boxsack sind Zettel angebracht, einige von ihnen sehr in Mitleidenschaft gezogen. „Abschiebung“, „Duldung“, „Nicht Anerkennung meines Studiums“ – das sind Begriffe, auf die Besucher:innen hier einschlagen können. Wer will, kann seine eigenen „Aufreger“ hier anbringen und zuschlagen. Die Idee kam von einem Boxverein, in dem seit Jahrzehnten Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammen trainieren. Videos ihrer Trainings werden im Hintergrund an die Wand projiziert.
Was für eine Art Museum ist das?
Wer eine Ausstellung erwartet, in der man sich einfach nur berieseln lässt und Informationen passiv aufnimmt, ist im DOMiD-Lab falsch. Ja, auch hier werden wie in typischen Geschichtsmuseen Informationen vermittelt, beispielsweise über die Geschichte von Gewerkschaften und Streiks. Und sicherlich lässt sich auch durch die ausgestellten Gegenstände und Biografien exemplarisch Geschichte von Migration nachvollziehen.
Das Labor lebt allerdings von der Partizipation und Interaktion der Teilnehmenden und Besucher:innen. Die Ausstellung ist ein Ort des Austauschs, der Kommunikation und des Mitmachens. Hier ist es an vielen Stellen in Ordnung und sogar erwünscht, die eigenen Gedanken zu hinterlassen. Dabei tritt man Interaktion mit den Gestalter:innen und den Personen, die vor einem die Ausstellung besucht haben.
Wie sähe es aus, wenn statt eines Raumes ein ganzes Museum zur Verfügung stehen würde? Das Konzept, das DOMiD in Vorbereitung auf das zu eröffnende „Haus der Einwanderungsgesellschaft“ ausprobiert, ist spannend und öffnet das Museum als einen Ort des Austausch. Wenn die Umsetzung auch im großen Stil gelingt, dürfte Köln in ein paar Jahren um ein ganz besonderes Haus reicher sein.
Titelbild: Eindrücke von Besucher:innen im DOMiDLab WERT / SCHÄTZEN – Eine Ausstellung über Anerkennung in der Migrationsgesellschaft. Foto: Annalena Baasch