Ra-Ra-Rasputin! Seien wir ehrlich – wirklich jede*r hatte doch gerade wieder diese Melodie im Hinterkopf. Bei Boney M. handelt es sich wohl um eine der bekanntesten europäischen Disco-Pop-Bands – mit Songs wie Rivers of Babylon, Daddy Cool oder eben Rasputin werden in den 1970er Jahren internationale Erfolge verbucht. Die Formation Boney M. gilt bis heute als popkulturelle Ikone in der Disco-Musik – aber dass ihre Karriere von Fremdzuschreibungen und Ausbeutung geprägt war, findet im medialen Diskurs meist wenig Raum.
Die Geburt der Gruppe Boney M.
Doch beginnen wir von vorn: 1975 nimmt der deutsche Produzent Frank Farian den Song Baby do you wanna bump auf – den Text singt er in zwei verschiedenen Stimmlagen selbst ein. Übrigens: Der Titel ist eine Neuinterpretation des Songs Al Capone – 1964 vom jamaikanischen Singer-Songwriter Prince Buster veröffentlicht. Farian verschweigt dies jedoch – Prince Buster wird nicht als Urheber des Songs erwähnt.
Auf dem Cover der Single? Eine tanzende Schwarze Frau. Der Song wird zum Hit, die Zuhörer*innen fordern Live-Performances – Farian kommt in Bedrängnis. Da eine Vermarktung des Songs unter seinem Namen einen Gegensatz zum „exotischen“ Charakter des Songs ist, werden kurzerhand passende Performer*innen gecastet. Dies ist die Geburtsstunde der Gruppe Boney M. Sie besteht aus den Sängerinnen Liz Mitchell, Marcia Barrett und Maizie Williams – sowie dem Tänzer Bobby Farrell. Alle vier Künstler*innen sind Schwarz und alle haben einen Migrationshintergrund. Mitchell und Barrett sind in Jamaika geboren, Williams in Montserrat, Farrell in Aruba.
Auswahl der Künstler*innen als Mittel zum Zweck
Es handelt sich hierbei um eine kalkulierte Entscheidung: die vier Künstler*nnen werden zu Repräsentationszwecken ausgewählt. Die Exotisierung Schwarzer Körper wird in diesem Rahmen also zum Werkzeug der Vermarktung. Zu diesem Zeitpunkt ist dies jedoch noch eine verbreitete Praktik im Rahmen der deutschen Musikindustrie. Im Fall Marcia Barretts wird dies besonders deutlich. Schon vor ihrer Mitgliedschaft bei Boney M. tritt sie im Vorprogramm deutscher Schlagersänger wie Rex Gildo oder Roberto Blanco auf. Ihr Bühnenname? „Schoko-Girl.“ Oder „Hot Chocolate from Jamaica.“ Für uns heute unvorstellbar, aber Barrett übernimmt dies Namen damals als Selbstbezeichnung.
Übrigens: in vielen Fällen ist die Zusammenarbeit mit Schwarzen Künstler*innen ein Mittel zum Zweck, um möglichst international zu wirken. Zumindest für die Hörer*innen sollte dies die tatsächliche Herkunft der Gruppe unkenntlich machen. Denn Joana Tischkau vom Deutschen Museum für Schwarze Unterhaltung und Black Music zufolge „konnte [man] sich nicht vorstellen, dass Schwarze Menschen auch einfach in Deutschland leben und Musik machen“. (Siehe hierzu auch unser Glossar SCHWARZE DEUTSCHE) Schwarze Menschen werden also mit der Zuschreibung einer fundamentalen Andersartigkeit konfrontiert. Die Vermarktung Schwarzer Künstler*innen als aufregend und exotisch trägt maßgeblich dazu bei. Die Auftritte von Boney M. in bunten, exotischen Kostümen vor einem größtenteils westlichen Publikum verstärken diesen Effekt noch zusätzlich.
Fremd- und Eigenwahrnehmung
Besonders spannend ist in diesem Fall der Kontrast zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung. So wird Liz Mitchell später in ihrer Biografie schreiben, dass:
„Wir [Boney M.] waren Deutsche. Da war es ganz egal, dass wir auf drei karibischen Inseln geboren waren – wir hatten unsere Basis in Deutschland, wurden von einem Deutschen produziert, standen bei einer deutschen Plattenfirma unter Vertrag. Somit handelt es sich bei Boney M. stets um eine deutsche Band.“
Liz Mitchell
An dieser Stelle wird deutlich, wie komplex die Aushandlung von kultureller Identität und Zugehörigkeit, Eigenem und Fremden in diesem Kontext gewesen sein muss – beziehungsweise, dass diese sich kontextuell veränderte.
Im Allgemeinen bewegte sich die Gruppe in einem Spannungsfeld zwischen Anerkennung und Ausbeutung. So liegen die Rechte für Boney M.s Diskografie bei Farian – ein Großteil der Gewinnsumme ging also direkt an ihn. Obwohl die Songs zu millionenfach gespielten Hits werden – und Boney M. als einzige deutsche Band Auftritte in der Sowjetunion absolviert – erhalten die Künstler*innen nur einen Bruchteil des Gewinnes. Bitter – gerade, da Barrett, Mitchell und Williams nach und nach größere Anteile in Boney M.s Performances übernehmen.
Sichtbarkeit Schwarzer Menschen in Deutschland
Die Gruppe Boney M. trägt zwar maßgeblich zur Sichtbarkeit Schwarzer Menschen in Deutschland bei – allerdings immer auch mit einem Beigeschmack des Fremden, des Nicht-dazugehörens. Vielleicht ist dies mit dem erzwungenen Mangel an Authentizität zu erklären. Boney M. war faktisch ein Produkt, welches keinen Spielraum für den authentischen Ausdruck kultureller Identität beinhaltete, sondern durch Farian fremdbestimmt wurde. Schwarze Künstler*innen wurden somit als stereotyp und eindimensional dargestellt und auf einen „exotischen Appeal“ reduziert. Boney M. war somit nur Objekt – nicht Subjekt – in der Aushandlung von migrantischen, aber auch deutschen Identitäten.
Hip-Hop-Bewegung als Werkzeug migrantischer Identitäten
Übrigens: Vor allem die in den 1990er Jahren aufkommende Hip-Hop-Bewegung wird zum Werkzeug, um migrantische Identitäten zu artikulieren. Themen wie Ausgrenzung, Rassismen und soziale Kritik sind in diesem Kontext besonders prägnant und illustrieren das Lebensgefühl marginalisierter Jugendlicher. Und spätestens mit der steigenden Popularität des R’n’B-Genres erlangen Schwarze Künstler*innen endlich Zugang zur Mainstream-Popkultur. Doch auch dies ist eine Gratwanderung zwischen Authentizität und Vermarktung, ein Kampf um Anerkennung und gegen Exklusion.
Quellen:
Krettenauer, Thomas (2016): Hit Men: Giorgio Moroder, Frank Farian and the eurodisco sound of the 1970/80s, in: Perspectives on German Popular Music
https://www.ndr.de/ndr1niedersachsen/Boney-M-Rasputin,boneym120.html
https://heimatkunde.boell.de/de/2013/11/18/afro-diasporische-identit%C3%A4ten-der-deutschen-popmusik
https://www.zeit.de/kultur/musik/2020-07/afrodeutsche-popkultur-museum-berlin-hau-black-music
Titelbild: Boney M. 1991 in Haarlem (Niederlande). Foto: Noord-Hollands Archief, collectie Fotopersbureau De Boer, Wikipedia gemeinfrei
Boney M, war immer Teamwork. Das waren nicht nur die vier farbigen Künstler, die die Bühnenshow absolvierten. Diese waren nur der sichtbare Teil. Farian hatte eine musikalische Vision, die er kongenial umsetzte. Dass die Urheber der Songs natürlich die meisten Gewinne einsteckten, war und ist so. Auch bei weißen Künstlern. Mitchell und Barrett waren „nur“ ausführende Sängerinnen und dafür wurden sie auch bezahlt, auch noch, nachdem Boney M. sich aufgelöst hatte. Das auf bloßen Rassismus zu reduzieren, ist wirklich ein bisschen zu einfach.