Wenn wir Menschen unsere Heimat verlassen, um uns an einem anderen Ort niederzulassen, reisen wir nie ohne Gepäck. Die Orte, in denen wir aufwachsen, die Personen, die uns geprägt haben, begleiten uns: Oft in Form von Gegenständen und den damit verbundenen Erinnerungen. In diesen Beiträgen erzählen Menschen über die Gegenstände, die sie mit ihrer Heimat verbinden. Heute berichtet Angela Z. von ihrem “Mitbringsel” aus Bolivien.

Zuwanderungsgeschichten

Kaum eine andere Stadt in Deutschland ist so durch das Thema Migration geprägt wie Wolfsburg. Den Gegenständen, die die Zuwanderungsgeschichten hinterlassen haben, widmete sich das “Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation” in Wolfsburg.

Die Autoren Alexander Kraus und Aleksandar Nedelkovski veröffentlichten die entstandenen Interviews in ihrem Sammelband: Mitgebracht. Eine Zuwanderungsgeschichte Wolfsburgs.

Ein Monolito aus Bolivien – Angela Z. erinnert sich

Ihr Monolito erinnert Angela Z. an die Orte ihrer Jugend in Bolivien. Foto: Ansgar Wilkendorf

Diese aus Holz geschnitzte Figur ist eine Nachbildung der größten Statue, die in der Ruinenstätte Tiwanaku (dt. Tiahuanaco) in Bolivien gefunden wurde: der nach seinem Finder benannte Bennett-Monolith.

Dieses auch Estela o Monolito Pachamama – „die Stele der Mutter Erde“ – genannte steinerne Monument ist 7,20 Meter hoch und 1,20 Meter breit. Es wurde 1932 bei durch den amerikanischen Archäologen Wendell Clark Bennett geleiteten Ausgrabungen entdeckt.

Ort der Jugend…

Von Tiwanako aus, der einstigen Hauptstadt der gleichnamigen Kultur, wurde der aus einem vulkanischen Stein gefertigte Monolith nach La Paz verbracht, dem Regierungssitz Boliviens – der Stadt, aus der ich komme.

Dort, in der Nähe des Stadions, entwickelte sich der Monolito, wie wir ihn auf Spanisch nennen, zu einem Anziehungspunkt für uns Jugendliche; der Platz war immer voll. Meine Schulfreude und ich trafen uns dort praktisch jeden Freitag- oder Samstagabend, irgendwer war immer dort. Und der Monolito war unser Treffpunkt.

Dort herrschte ein buntes Treiben; man saß beieinander, aß leckere Fleischspieße – oder einer packte spontan seine Gitarre aus, eine Flöte stimmte mit ein und wir lauschten der typisch bolivianischen Livemusik. Das ist genau meine Musik, die ich auch heute noch immer gerne höre. Sie ist vielsagend und schön zugleich. 

…und Ort der Wiederkehr

Ich habe Bolivien 1965 verlassen, um in Lübeck meine Arbeit als Kinderkrankenschwester zu beginnen. Damals war ich 18 Jahre alt. Wenn ich heute in mein Heimatland zurückreise, sind der Monolito ebenso wie Tiwanako feste Anlaufpunkte für mich.

Für mich ist diese steinerne Figur nicht einfach nur ein Stein, für mich ist sie viel mehr. Sie ist einfach wunderschön. Mir hat der Monolito immer viel Energie gegeben.

Auch der nahegelegene Titicacasee hat etwas Fantastisches für mich. Es wird vermutet, dass der Monolito damals über den See herbeigeschafft wurde, der einst bis in die Nähe des Fundortes reichte, denn in der Umgebung von Tiwanako sind keine derart großen Steine zu finden.  

Während einer meiner Besuche in Bolivien machte mir meine Familie diesen holzgeschnitzten Monolito zum Geschenk. Sie wusste von der Anziehungskraft, die diese Statue auf mich ausübt.

Ich besitze sie nun seit ungefähr vierzig Jahren. Im Gegensatz zu seinem realen Vorbild aus Tiwanako ist diese Schnitzarbeit für mich jedoch nicht emotional aufgeladen. Sie ist schön anzusehen, doch eben nicht das, was ich liebe.

Die Verfasser

Der vorliegende Geschichte zum Land Bolivien entstammt dem Band: Alexander Kraus, Aleksandar Nedelkovski (Hg.), Mitgebracht, Eine Zuwanderungsgeschichte Wolfsburgs. ecrivir Verlag, Hannover 2020. Er wurde in Kooperation mit dem Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation” der Stadt Wolfsburg an dieser Stelle veröffentlicht.

Die Interviews wurden durch Aleksandar Nedelkovski geführt, die Texte wurden von Alexander Krausverfasst. Das Foto des Monolitos nahm der Fotograf Ansgar Wilkendorf auf.

Über den Autor

Michèle W.

Michèle ist Studentin der Geschichtswissenschaften M.A. an der Humboldt-Universität Berlin.

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