„Pelé“ nannten sie ihn. 1962 schoss der Ausnahmestürmer Souleymane Chérif das ostdeutsche Kleinstadt-Fußballteam Sportclub Neubrandenburg (SCN) in die Oberliga der DDR. Allerdings durfte der einstige Star des DDR-Fußballs nie in der Oberliga spielen.
Mit 18 Jahren in die DDR
1961 verlässt Suleymane Chérif seine Geburtsstadt Kindia in Guinea, um in der DDR Bauwesen zu studieren. Im Rahmen der sozialistischen Entwicklungshilfe. Der 18jährige kommt nach Neubrandenburg. Er fühlt sich bisweilen allein in der Unterkunft. Mit ihm leben 29 andere Studenten aus den sozialistischen Bruderländern Angola, Mosambik oder Guinea. Chérif arbeitet beim VEB Bau-Union in Neubrandenburg. Dort will er Erfahrungen für den Aufbau in seinem afrikanischen Heimatland sammeln. In seiner Freizeit spielt er in der Sporthalle der Internatsunterkunft Basketball und Fußball. Hier werden die Fußballer des SCN auf sein beeindruckendes Spiel aufmerksam. Dass Suleymane Chérif seit seiner Kindheit ein begeisterter und talentierte Fußballer ist, wissen sie zu dem Zeitpunkt (noch) nicht.
Der beidfüßige Mittelstürmer
Es braucht nicht viel Überredung und Chérif steigt beim SC Neubrandenburg ein. Sofort zeigen sich seine Schnelligkeit und Geschmeidigkeit im Spiel. Besonders fallen seine Kopfballstärke und seine Fähigkeiten als beidfüßiger Mitteltürmer. Die Mannschaft spielt und trainiert gemeinsam. Unter anderem im Wintertrainingslager auf Langlaufski. Souleymane Chérifs erste Begegnung mit Schnee. Er fühlt sich wohl und aufgehoben in der Mannschaft, erzählt er 2018 in einer Fernsehdokumentation über ihn. Seinen Spitznamen „Pelé“ nach dem brasilianischen Fußballstar hat er in der Mannschaft bald weg. Chérif wird mit spektakulären Fallrückziehern und Hackenschlägen zum Torschützenkönig des SC Neubrandenburg. Mit ihm in der Mannschaft fährt der SCN einen Sieg nach dem anderen ein. Selbst das Neue Deutschland, die größte Tageszeitung der DDR, berichtet über sein Spiel. Rückblickend erinnern sich seine damaligen Mannschaftskollegen gerne an ihn. Durchweg betonen sie, was für ein großartiger Mensch er war. Und auch privat ist er in den Spielerfamilien willkommen.
Provokationen und Enttäuschungen bleiben nicht aus
In besagter Dokumentation erinnert sich der heute 76 jährige Chérif daran, dass ihn Kinder in der DDR anfassten, um zu prüften, ob das Schwarz an ihm Kohle sei. Darüber kann er lachen. Weniger zum Lachen dürften damals Sprüche auf dem Spielfeld gewesen sein, die auf seine Hautfarbe oder seine Herkunft anspielen. Auch als Suleymane Chérif und eine ostdeutsche Sportlerin sich ineinander verlieben und heiraten wollen, wird die Hochzeit von ihrem Vater abgeblockt.
Nur Deutsche dürfen aufsteigen
Als Souleymane Chérif in der Spielzeit 1962/63 beim SC Neubrandenburg startet, spielt die Mannschaft noch in der drittklassigen II. DDR-Liga. Am Ende der Saison steigt die Mannschaft in die I. DDR-Liga auf. In der Folgesaison trägt er mit 12 Toren in 23 Punktspielen dazu bei, dass seine Mannschaft 1964 in die DDR-Oberliga aufsteigt. Doch ironischerweise kann Chérif seine Karriere wegen des für die Oberliga geltenden Ausländer-Verbots beim SC Neubrandenburg nicht fortsetzen. Für die noch verhältnismäßig junge DDR was dies vermutlich eine politische Entscheidung. Der DDR-Fußball wollte, dass seine eigenen Leute spielen, die Besten sind und so die Stärke der DDR beweisen.
In der Saison 1964/65 spielt Souleymane Chérif für den Zweitligisten BSG Empor Neustrelitz, bevor er nach Guinea zurückkehrt. Der SC Neubrandenburg konnte sich in der Oberliga nicht behaupten und stieg in der darauffolgenden Saison wieder ab.
Fußballer des Jahres 1972
Es ist anzunehmen, dass bei Souleymane Chérifs Rückkehr nach Guinea einige Enttäuschung im Gepäck ist. Doch auch in seiner Heimat gibt er den Fußball nicht auf. Zwölf Jahre kickt er für die Nationalmannschaft. Dreimal wird er Afrikameister und startet 1968 bei den Olympischen Spielen in Mexiko im Team Guinea. Von Januar 1970 bis Dezember 1979 spielt er für den Hauptstadtverein Hafia FC aus Conakry. In diese Zeit fällt auch seine Wahl zu Afrikas Fußballer des Jahres 1972. Bis heute ist Souleymane Chérif in Guinea eine Persönlichkeit und arbeitet unter anderem für die FIFA.
Der Dokumentarfilm „Pelé aus Neubrandenburg“
2018 drehten die Schweriner Autoren Matthias Hufmann und Benjamin Unger für den NDR den 30minütigen Dokumentarfilm „Pelé aus Neubrandenburg“. Sie beleuchten die Karriere von Souleymane Cherif. Der Film nimmt vor allem das enge Verhältnis von Chérif und seinen damaligen Team-Kollegen in den Blick. Und wie es war, akzeptiert zu werden in einer Gemeinschaft, in der es alles andere als normal war, je einen Afrikaner getroffen zu haben. Auf die Frage, worin die Relevanz des Filmes für heute besteht, antwortete der Autor Benjamin Unger in einem Interview:
„Die Relevanz für die heutige Zeit ist, dass sie zeigt, dass es auf der persönlichen Ebene keine Grenze gibt.“
Interview Deutsche Welle, 23.3.2019