„14 Stories – Living Memories of War“ erzählt 14 Geschichten von Menschen, die den Nepalesischen Bürgerkrieg erlebt haben und deren Leben davon gezeichnet sind. Diese Menschen und ihre Geschichten waren das Herzstück meiner Arbeit im Zivilen Friedensdienst in Nepal.
Seit dem Sommer bin ich nun wieder zurück in Berlin und arbeite für Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Die Frage, was uns in Deutschland mit der Geschichte eines Bürgerkrieges tausende Kilometer weit weg in Asien verbindet, hat mich auf meinem Weg nach Nepal, durch Nepal und auf meinem Weg zurück nach Berlin begleitet.
Bürgerkrieg in Nepal
Zehn Jahre dauerte der Bürgerkrieg in Nepal, von 1996 bis 2006. Zwischen 13 und 17 Tausend Menschen starben, Tausende weitere wurden verletzt oder verschleppt.
Nach Ende des Bürgerkrieges vor 17 Jahren wurde eine neue Regierung gebildet und ein Friedensabkommen beschlossen. Viele Punkte des Abkommens konnten erreicht werden. Doch an einem zentralen Punkt warten Opfer- und Überlebenden-Gruppen bis heute auf die Umsetzung: die Herstellung von Gerechtigkeit.
Was bedeutet Gerechtigkeit?
Was Gerechtigkeit für einzelne Betroffene bedeutet, ist sehr unterschiedlich. In den 14 Stories wurden die interviewten Menschen dazu befragt. Die Antworten zeigen viele Übereinstimmungen in der Bedeutung von Gerechtigkeit: Bildung und Arbeitsmöglichkeiten für die Kinder, Weiterbildung und Arbeit für die Betroffenen, Übernahme von medizinischen und therapeutischen Behandlungskosten, Anpassung der Infrastruktur wie beispielsweise Rampen an öffentlichen Gebäuden, dazu die Forderung, dass die Verursachenden ihre Fehler eingestehen, Verantwortung übernehmen und um Vergebung bitten. Alles in allem also die Schaffung von Grundlagen, mit denen ein gesellschaftlich respektiertes Leben wieder möglich ist.
Soziale Gerechtigkeit
Ein wichtiger Aspekt in vielen der Interviews ist die Wiederherstellung von Gerechtigkeit in der eigenen Gemeinschaft. Die Menschen möchten, dass Andere erfahren, wie der Krieg ihr Leben gezeichnet hat, was ihnen passiert ist, wie es ihnen damals ging und heute geht. Sie wünschen sich, mit ihren Erlebnissen anerkannt und akzeptiert zu werden, und sie hoffen, andere Betroffene zu ermutigen, deren Geschichten ebenfalls zu teilen.
Unerzählte Geschichten
Bei meiner Arbeit in Nepal haben Geschichten eine zentrale Rolle gespielt. Die Organisationen, mit denen meine Kolleginnen und Kollegen und ich zusammengearbeitet haben, repräsentieren zivile Opfer- und Überlebenden-Gruppen, die von der Regierung sonst keine oder kaum Anerkennung finden. Darunter waren das Nepalesische Netzwerk der (zivilen) Konfliktopfer mit Beeinträchtigungen (NNDCV) sowie Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden oder ihre Angehörige durch den Konflikt verloren haben (The Story Kitchen).
Den Geschichten dieser Menschen zu zuhören, diese aufzuschreiben und sie aus dem Schatten von Politik und Geschichte ins Licht zu rücken, war Ziel unserer Arbeit. Wie das möglich werden sollte, war bestimmt dadurch, mit welchen Worten und auf welche Weise die Überlebenden selbst ihre Erlebnisse erzählen möchten. Und auch dadurch, welche Menschen sie mit ihren jeweiligen Zielen erreichen wollen.
Für das Nepalesische Netzwerk ziviler Konfliktopfer mit Beeinträchtigungen NNDCV ist es Ziel, innerhalb der Gesellschaft und Politik sichtbarer zu werden. Hierfür entstanden die „14 Stories – Living Memories of War“, vorerst als Buch. Doch ein Buch läuft oft Gefahr, in den Regalen der Menschenrechtsorganisationen in Kathmandu Staub anzusetzen. Daher erzählte mein nepalesischer Kollege Ramesh gerne von den Anrufen, die er nach der Veröffentlichung bekam: „schon wieder spielt sich alles in Kathmandu ab und bleibt dort, wir wollen die Geschichten in unseren Dörfern und Gemeinden!“. Aus diesem Wunsch heraus wurde eine Wanderausstellung entwickelt, die auf zentralen Plätzen in den Gemeinden der 14 Erzählerinnen und Erzähler Station machte. Schulen und lokale Politikerinnen und Politiker wurden gezielt eingeladen. Viele Hundert Menschen kamen spontan vorbei, schauten sich die Tafeln mit den beeindruckenden Fotos und Geschichten interessiert an, hörten die Erzählungen in den eigenen Stimmen der Betroffenen über Kopfhörer.
Wenn möglich begleiteten die Erzählerinnen und Erzähler die Ausstellung und kamen mit den Besuchenden ins Gespräch. Junge Menschen hörten an dieser Stelle oft zum ersten Mal vom Bürgerkrieg in ihrem Land und den Geschichten der Überlebenden. An diesem Punkt knüpfte meine Aufgabe an: Durch die individuellen Geschichten einen Weg zu bahnen, in Schulen über diesen Abschnitt der nepalesischen Geschichte zu lernen und zu sprechen. Hierfür teilte ich Beispiele, wie Geschichte in Deutschland aufgearbeitet und vermittelt wird, wie Objekte beim Veranschaulichen helfen können, wie eine solche Schulstunde strukturiert sein kann aber auch, wie die Erzählerinnen und Erzähler auf die eigene psychische Gesundheit achten können. Daraus entwickelten diese ihre persönlichen Wege. Sie sprache in Schulen und während der Ausstellung mit jungen Menschen über ihre Erlebnisse im Rahmen der nepalesischen Geschichte und Gesellschaft.
The Story Kitchen hingegen haben es sich zum Auftrag gemacht, den Stimmen von Frauen als Verstärker zu dienen. Damit machen sie auf „HerStory“ aufmerksam. Sie bilden „Justice Reporter“ aus, Frauen, die selbst Opfer und Überlebende des Krieges und sexualisierter Gewalt sind und die Geschichten anderer betroffener Frauen dokumentieren. Hiermit werden sowohl die interviewten als auch die interviewenden Frauen in ihrer eigenen Rolle gestärkt, als selbstbestimmte Erzählerin der eigenen Geschichte, als ausgebildete Reporterin und als Vorbild statt als Opfer. Mein Bogenschlag hier war es hier, mit den Frauen über Anne Frank zu sprechen und über die Kraft und Reichweite, die eine Geschichte haben kann.
Geschichten und die Kraft des Erzählens
Was ich durch meine Arbeit in Nepal gelernt habe? Dass das Aufschreiben und Teilen von Geschichten viel erreichen kann! Gerade in Gesellschaften, in denen juristische Gerechtigkeit schwer umsetzbar scheint und die politische Führung ein „Vergeben und Vergessen“ seitens der Überlebenden als zentralen Umgang mit Vergangenheit vertritt.
Erzählen kann Sichtbarkeit schaffen für die Auswirkungen von Gewalt auf individuelle Leben und die Leben darum herum, auch über Generationen hinweg. Es kann zur Dokumentation der Geschehnisse beitragen. Es kann politische Aufmerksamkeit generieren. Es kann stärken und Solidarität herstellen, Netzwerke entstehen und wachsen lassen. Und es kann helfen, die blinden Flecken der Geschichtsschreibung besser auszuleuchten.
Titelbild: Buchcover „14 Stories – Living Memories of War“