Das Ehepaar Elsbeth und Herbert Weichmann ist ein Beispiel für Remigrant:innen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg dafür entschieden, nach Deutschland zurückzukehren, und einen wesentlichen Beitrag für den Aufbau und die Gestaltung der Demokratie in Deutschland leisteten.
Aus Mähren und Oberschlesien
Elsbeth Weichmann, geborene Greisinger, stammte aus Brünn (Mähren). Die Tochter eines Sparkassendirektors studierte ab 1918 Wirtschaftswissenschaften in Frankfurt am Main, Kiel, Köln und Graz. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als Statistikerin. 1928 heiratete sie Herbert Weichmann, der 1896 in Landsberg (Oberschlesien) als Sohn einer jüdischen Arztfamilie geboren worden war. Er nahm als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil, studierte Jura und promovierte 1922 an der Universität Breslau.
Politische Heimat SPD
Herbert Weichmann arbeitete als Korrespondent der Frankfurter und der Vossischen Zeitung. 1927 war er Chefredakteur der Kattowitzer Zeitung und folgte 1928 einer Berufung in das Preußische Staatsministerium als persönlicher Referent des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Otto Braun. Auch das Ehepaar Weichmann hatte seine politische Heimat in der SPD.
Raus aus Deutschland
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Herbert Weichmann als „politisch unzuverlässig“ eingestuft und aus dem Staatsdienst entlassen. Dem Ehepaar Weichmann gelang im Sommer 1933 die Flucht zu Fuß über das Riesengebirge in die Tschechoslowakei. Eine weitere Exilstation wurde schon 1933 Paris. 1940 wurden die Weichmanns in unterschiedlichen Lagern interniert, konnten aber aus Frankreich über Spanien und Portugal fliehen und reisten nach New York.
In New York Fuß fassen
Den Weichmanns gelang es mit Fleiß und harter Arbeit, in New York Fuß zu fassen. Er arbeitete nach einem Abendstudium als Wirtschaftsprüfer. Sie absolvierte ein Studium der Statistik an der New York University und arbeitete danach wieder als Statistikerin.
Zurück nach Deutschland?
Die Nationalsozialisten ermordeten die Mutter, die Schwester und den Schwager von Herbert Weichmann in der Shoah. Auch deshalb rangen die Weichmanns nach 1945 lange mit sich, ob sie nach Deutschland zurückkehren sollten. Schließlich war es Max Brauer, der Herbert Weichmann 1948 zur Remigration nach Hamburg bewegen konnte, Elsbeth Weichmann folgte ihrem Ehemann ein Jahr später. Max Brauer war eng mit den Weichmanns befreundet, kehrte schon 1946 aus dem New Yorker Exil zurück und wurde Erster Bürgermeister Hamburgs.
Verantwortung in Hamburg
Zunächst war Herbert Weichmann als Präsident des Hamburger Rechnungshofes tätig, 1957 wurde er Finanzsenator, von 1961 bis 1971 gehörte er der Hamburgischen Bürgerschaft an. 1965 übernahm er das Amt des Ersten Bürgermeisters der Freien und Hansestadt Hamburg, in der er bis 1971 regierte.
Für Verbraucher*innen und Gleichberechtigung
Elsbeth Weichmann widmete sich in Hamburg von Anfang an verschiedenen Themen. Zum einen beschäftigte sie sich mit Verbraucherschutz, der Gleichberechtigung von Frauen und etwas später auch mit Kulturpolitik. Von 1957 bis 1974 war sie Mitglied der Bürgerschaft. Im März 1957 gründete sie mit elf weiteren Frauen den „Arbeitskreis für Verbraucherfragen“ und führte den Verein, der sich etwas später „Verbraucherzentrale“ nannte, als Vorsitzende. Es war die erste Verbraucherzentrale in Deutschland und richtete sich in erster Linie an Hausfrauen.
Elsbeth Weichmann wandte sich aber auch immer wieder gegen die althergebrachte Rollenverteilung von Mann und Frau und forderte praktische Gleichberechtigung in Beruf und Alltag. Dabei war sie inspiriert von Ideen, die sie in New York kennengelernt hatte. Kulturpolitisch setzte sie als Mitgründerin der „Arbeitsgemeinschaft der Kulturförderung“ Akzente, indem sie sich hier besonders für niedrigschwellige Zugänge zu Kultur und Bildung stark machte.
Gut für Hamburg
Anders als viele Rückkehrer nach Deutschland in der Nachkriegszeit wurden Elsbeth und Hermann Weichmann in Deutschland wieder heimisch und erwarben im Jahr 1954 erneut die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach dem Tod des Ehepaares erfolgte 1989 die Gründung der „Herbert und Elsbeth Weichmann-Stiftung“. Sie bewahrt das Andenken ihrer Namensgeber und möchte zukünftigen Generationen das Wirken der demokratischen Opposition im Exil gegen die totalitäre Herrschaft Hitlers sowie die Folgen dieses Wirkens für Nachkriegsdeutschland in Erinnerung rufen. Sie fördert und veranstaltet Tagungen, veröffentlicht und unterstützt Publikationen und ermöglicht wissenschaftliche Forschung zu den Themen Exil und Widerstand.
Titelbild: Das Ehepaar Elsbeth und Herbert Weichmann auf dem SPD-Landesparteitag in Hamburg 1982, Foto: Wikimedia Commons
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